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Verschiedene Philosophien bei der Trassierung früher EisenbahnenWenn man sich den Verlauf der ersten Bahnstrecken in einem Atlas oder in genaueren Landkarten ansieht, entdeckt man nicht selten Merkwürdiges: Da wird ein Hügelland durchschnitten, obwohl parallel ein bequemes Tal in dieselbe Richtung führt. Oder man findet eine Bahn, die um viele Städte einen Bogen macht. Eine andere folgt auf der Wasserscheide einem Gebirgskamm, als hätte man damals schon eine Panoramabahn bauen wollen. Offensichtlich sind die Strecken in den ersten 30 oder 40 Jahren nicht nach einheitlichen Regeln gebaut worden. Dabei wollen wir die allerersten Demonstrationsstrecken in den verschiedenen Ländern außer Acht lassen. Da ging es in erster Linie darum, überhaupt einen Anfang zu machen, die Bevölkerung und Wirtschaft an die neuen Chancen zu gewöhnen, und die Infrastruktur für den Bau der dann in Angriff genommenen ersten Fernstrecken zu schaffen. Allein Sachsen hat mit der Magistrale Dresden- Leipzig gleich mit einer frühen Fernstrecke begonnen, im Vertrauen darauf, dass sich die Erfolge der englischen Strecken auch in Sachsen einstellen würden. Mit größeren Investitionen war man am Anfang zurückhaltend. Die ersten Strecken lagen im Flachland oder in breiten Tälern, vermieden allerdings Sumpf- und Überschwemmungsgebiete. Sie endeten oft vor größeren Flüssen, über die erst viel später Brücken gebaut wurden. Auch hier ist Sachsen mit der Elbebrücke bei Riesa wieder die rühmliche Ausnahme. Interessanter ist die zweite Runde im Eisenbahnbau. Nun hatten alle Staaten die Vorteile erkannt und begannen zu investieren, freilich mit unterschiedlicher Verteilung der Finanzierung zwischen Staatskasse und privaten Mitteln. Aber das soll hier nicht das Thema sein, obwohl es sich natürlich auch in der Trassierung der Strecken niederschlagen musste. Es hatte aber wohl mehr Einfluss auf die Wahl der Start- und Zielorte, und auf die Geschwindigkeit des Baufortschrittes. Bei der Art der Bauausführung lassen sich deutliche regionale Unterschiede beobachten. Man sollte denken, dass der Stand der Technik überall zu gleichen Ergebnissen führen musste. Aber zu unterschiedlich waren die Randbedingungen. Selbst bei ähnlicher Topographie und Bodenbeschaffenheit konnten die realisierten Strecken ganz unterschiedlich aussehen, wenn auf das Angebot an örtlichen Arbeitskräften und auf die Kenntnisse einheimischer Handwerker und Industrie Rücksicht genommen werden musste. Dies alles wissenschaftlich exakt zu untersuchen, ist Sache der Technikgeschichte. Für mich als Bahnliebhaber beschränkt sich die Beschäftigung mit diesem Thema im Beobachten der verschiedenen Ergebnisse damaliger Ingenieurskunst. Im Atlas kann man nur sehen, inwieweit eine Bahnstrecke Flussläufen folgt, Hügelland meidet oder unbeeindruckt durchquert, oder ohne sichtbaren Grund zickzack durch die Gegend führt. Auf genaueren Landkarten entdeckt man dann, dass einige Zacken durch dort liegende kleinere Städte begründet sind, die im Atlas weggelassen sind. Viele Umwege bleiben rätselhaft. Um auch die restlichen Ungereimtheiten zu klären, braucht man detaillierte topographische Karten oder schaut am besten selbst im Gelände nach. Da kann man dann einen Gutshof, ein Schloss, ein Kloster mit seinen Ländereien entdecken, oder die Reste davon. Großgrundbesitzer, die bei Hofe aus- und eingingen, hatten meistens mehr Einfluss als die Bahnbau- Ingenieure. Dann musste die Trasse eben außen herum. Oft findet man innerhalb des Umwegbogens auch nur ein flaches Tal, (Bild 1) ,von dem man annehmen kann, dass es damals sumpfig war, und erst später trockengelegt wurde. Umgekehrt gibt es auch von nachfolgenden Generationen begradigte Strecken quer durch Sumpfniederungen. Die erfordern heute, weil sie immer wieder absacken, Geschwindigkeitsbegrenzungen und dauernde Reparaturen. Die ersten Bahningenieure waren da zum Glück sehr vorsichtig, auch was die Hochwasser- Sicherheit angeht. Wenn man heute von Überschwemmungsschäden hört, sind das meistens jüngere Strecken. Weil die Bahntrassen selten von Straßen gut einsehbar sind, ist das Fahrrad das beste Mittel zum Erkunden der Dämme und Brücken. Die Einschnitte und Tunnelportale hingegen sind vom Zug aus besser zu sehen, wobei besonders die in ARD und Bahn-TV gesendeten Führerstandsmitfahrten eine Fundgrube sind. Von den Videoaufnahmen kann man Standbilder in Ruhe betrachten, während man im Zug an den Bauwerken nur vorbeihuscht. Hier ist nicht die Rede von einer Trassierung, die einem mäandrierenden Tal folgt, sondern von einer, die in flachem Gelände mehrmals wild die Richtung ändert. Ein typisches Beispiel zeigt Bild 2: Worms- Frankenthal- Ludwigshafen- Schifferstadt- Speyer- Lingenfeld- Germersheim- Bellheim- Wörth. Jeder Ortsname steht für eine Richtungsänderung von 45 bis 90 Grad. Dabei sehe ich nur in Lingenfeld die Ursache in der Topographie: Dort ragt ein alter Rheinarm in die Luftlinie Speyer - Germersheim hinein. Ein Teil der Zacken folgt daraus, dass es sich hier um Bruchstücke anderer Bahnstrecken handelt: Zuerst wurde im Jahr 1847 die Strecke Ludwigshafen - Schifferstadt - Neustadt fertiggestellt, das erste Stück der Bahnlinie nach Saarbrücken. Sie erhielt schon 1847 einen Seitenast von Schifferstadt nach Speyer. 1853 wurde Ludwigshafen - Worms - Mainz eröffnet. Erst 1864 wurde von Speyer nach Germersheim weitergebaut. Da war von Neustadt über Landau schon seit 1855 die Fernstrecke nach Süden fertig. Man baute daher in Germersheim einen Kopfbahnhof, weil man sich nicht vorstellen konnte, dass die Strecke einmal verlängert werden würde. Zehn Jahre später wurde dort allerdings eine Rheinbrücke gebaut, und eine Ost- West Verbindung Bruchsal - Landau eröffnet. Der Kopfbahnhof wurde mittels scharfer Kurven zum Durchgangsbahnhof. Bei der Rheinbrücke wurde dann einige Jahre danach noch eine Linie nach Süden angehängt, heute würde man sagen, eine reine Regionalbahn. Die wurde dann mit Absicht Zickzack zu allen Dörfern gelegt. Ironie der Geschichte: Kurz danach schon waren die anderen Nord- Süd- Verbindungen so überlastet, dass auch auf dieser Zickzackstrecke Fernverkehr linksreinisch nach Straßburg lief, insbesondere Güterverkehr. Wie gerne hätte man da eine um gut 30% kürzere Direktstrecke gehabt. Aber ohne Planung wird es eben Zickzack... In Deutschland fallen mir keine ausgeprägten Beispiele ein, aber in gemäßigter Form sieht man einzelne tiefe Einschnitte zwischen flachen Strecken im Oberrheingraben und im Alpenvorland, wenn aus der Ebene herausragende Schwemmland- Stufen durchschnitten werden. Hier hat es rein topographische Gründe. In England scheint man, wenn man alten Bildern trauen kann, eine Vorliebe für die Trassierung in Einschnitten gehabt zu haben. Ich war allerdings noch nicht da, um nach Hinweisen zu suchen, wo man damals all den Aushub hingeschafft hat. Waren die Bilder künstlerische Freiheit? Vielleicht ist die Erklärung ganz einfach: Es gab damals ja keine Tiefbauingenieure speziell für die Eisenbahntrassierung. In England wird es aber viele Kanalbau- Ingenieure gegeben haben, die man anstellen konnte. Die haben dann ihre Methoden angewendet: Der Aushub wurde auf kürzestem Weg nach den Seiten herausgetragen und abgeladen. Bei Kanälen gab das die Dämme mit Treidelwegen, bei der Eisenbahn wurden eben die Berge neben dem Einschnitt etwas höher. Das geht selbstverständlich nur, wenn nicht allzuviel Fels im Weg ist. Damm- Einschnitt- Damm- Strecken Die ersten deutschen Strecken durch hügeliges Gelände und teilweise sogar in Mittelgebirgen wurden, sofern es die Bodenbeschaffenheit zuließ, bevorzugt in einer aufwendigen Abfolge von Einschnitten und Dämmen errichtet. ( Bild 3). Das hatte folgenden Grund. Die ersten Lokomotiven waren so schwach, dass stärkere Steigungen tabu waren. Weil sie unlenkbare Achsen hatten, und die Profile von Rad und Schiene erst nach und nach optimiert wurden, ging man davon aus, dass sie eigentlich nur geradeaus fahren konnten. Auch später blieb der nicht vernachlässigbare Reibungszuwachs in Kurven ein Kriterium, weil die Leistungsfähigkeit der Lokomotiven eigentlich immer dem Bedarf hinterherhinkte. Man machte also welliges Gelände zur Ebene und kurvige Täler gerade. Dazu verlegte man sogar Flüsse, indem man Mäander abschnitt und durch ein neues Flussbett ersetzte. Ein Beispiel für immense Erdbewegungen ist südlich von Gießen bis zur Wasserscheide Main- Lahn zu finden. Man hat die Einschnitte gerade so tief gemacht, dass das Material für die Dämme reichte. 1852, nach etwa zweijähriger Bauzeit wurde hier die letzte Lücke der Main- Weser Bahn von Frankfurt nach Kassel geschlossen. In dem Maße, wie die Leistungsreserven der Lokomotiven stiegen, wurde diese teure Bauweise immer seltener angewendet. In dicht besiedelten Gebieten war der Flächenbedarf einfach zu groß. Man musste stattdessen Tunnel und Viadukte bauen. Oder kurvigere Strecken, dem Gelände folgend. In Süddeutschland waren die Verbindungen zwischen den Zentren, soweit sie sich flach oder mit der Damm/Einschnitt- Methode bauen ließen, schon 1847 in Betrieb. So ging es von München über Augsburg an die Donau vor Donauwörth und von Nürnberg über Bamberg an den Fuß des Thüringer Waldes. Weitere Zentren ließen sich nun nur durch eine an die Mittelgebirgslandschaft angepasste Streckenführung anschließen. Das Ergebnis war 1848 die berühmte Schiefe Ebene. Weil wohl jeder Eisenbahnfreund von dieser Ingenieurs- Meisterleistung schon gehört und hoffentlich auch Bilder gesehen hat, brauche ich hier nicht weiter zu erklären, was ich unter angepasst verstehe. Dass man damals diese Bauweise noch als Notbehelf ansah, zeigt die Strecke Augsburg- Ulm, die sechs Jahre später noch mit hohen Dämmen westlich von Dinkelscherben und einem langen, fast 30m tiefen Einschnitt auf halbem Weg vor Scheppach gebaut wurde. Zwanzig Jahre später hätte man vielleicht eine billigere, niveaugleiche (aber steilere und kurvigere) Trasse über den Bergrücken gewählt. Als man sich, durch die Mittelgebirgsstrecken gezwungen, an den weniger direkten Streckenverlauf gewöhnt hatte und auch dort angemessene Fahrzeiten erreichen konnte, wendete man diese Trassierungsmethode zunehmend auch allein zum Zweck der Baukostenreduktion an. So wurden dann auch einige recht kleinkarierte Strecken gebaut, die später im Fernverkehr zu Bremsklötzen werden sollten. Bei sandigen und lehmigen Böden macht das Aufschütten hoher Bahndämme Probleme. Sie rutschen immer wieder ab, brauchen einen sehr flachen Böschungswinkel und daher viel Material. Auch Einschnitte müssen sorgfältig gegen Erosion gesichert werden, was oft nur durch Mauern machbar ist. Wenn man das Material für Dämme aber nicht aus benachbarten Einschnitten gewinnen kann, muss man es aus Steinbrüchen herankarren. Daher ergaben manchmal die Berechnungen, dass überraschenderweise Viadukte in flachem, sandigem Hügelland die geringsten Baukosten haben können. Die Transportkosten waren insbesondere dann ausschlaggebend, wenn es nicht möglich war, eine Trasse fortlaufend zu bauen und so das schon fertiggestellte Gleis für den Transport zu nutzen. Oft wurde an vielen Stellen gleichzeitig begonnen, wohin man das Material über Straßen und Wege heranschaffen musste. Viadukte, damals meistens gemauerte Bogenbrücken, sind oberhalb der Pfeiler in der Regel weitgehend hohl gebaut. Selbst wenn eine nur sechs Meter tiefe Senke überquert werden musste, konnte die zu transportierende Tonnage durch ein Viadukt auf ein Zehntel reduziert werden. Wie Steffen Kluttig in "Schienenverbindungen zwischen Chemnitz und Leipzig" (ISBN:3-937496-17-3, Bildverlag Böttger ) beschreibt, gibt es auf dieser Strecke einige aus diesem Grund entstandene kleineren Viadukte. Zwei wurden später doch noch mit Dämmen zugeschüttet, um schwerere Züge zulassen zu können. Auf das große Viadukt dieser Strecke komme ich im nächsten Abschnitt noch zurück. Der Vollständigkeit wegen sei darauf hingewiesen, dass Viadukte natürlich auch in dicht besiedeltem Gebiet angewendet wurden, wo viele, schon bestehende Straßen überquert werden mussten. Paradebeispiel ist die Berliner Stadtbahn. |
Als Sachsen und Bayern den Bau der Magistrale Leipzig- Hof- Nürnberg verabredeten, bekamen die sächsischen Ingenieure eine noch schwierigere Aufgabe als die bayrischen mit ihrer schiefen Ebene. Denn die sächsische Strecke sollte natürlich die sächsischen Städte Plauen, Reichenbach und Zwickau direkt miteinander verbinden und in den Genuss der Fernstrecke kommen lassen. Im weiteren Verlauf Richtung Leipzig musste die Bahnlinie bei Altenburg sächsisches Gebiet für etwa 25km verlassen. Wenn man die Strecke über einen längeren Weg ins Ausland verlegt hätte, wären nördlich von Plauen auch Trassen durch das Tal der weißen Elster bei Greiz in Frage gekommen, aber dann wäre Reichenbach isoliert gewesen.
Vielleicht wurde der Umweg über Greiz und Gera trotzdem durchkalkuliert, erwies sich aber als teurere Lösung. Die direkte Höhentrasse über Reichenbach erforderte zwar zwei teure Viadukte, war aber kürzer und verlief weitgehend durch relativ flaches Gelände. Flach? Das kann doch nicht sein, denkt man nach einem Blick auf den Atlas. Da ist das Vogtland zwischen Thüringer Wald und Erzgebige größtenteils so braun wie die benachbarten Mittelgebirgsketten dargestellt. Zwischen den Viadukten verläuft die Trasse in der Tat vom Aufstieg bei Werdau bis zur bayrischen Grenze nur über Berghöhen.
Atlaskarten zeigen meistens nur die Höhe über Meer, jedoch nicht die Geländebeschaffenheit. Die Baukosten werden aber mehr davon bestimmt, wie zerklüftet das Gebiet ist. Auf der Hochfläche eines Tafelberges ist der Bahnbau billiger als im oft feuchten Flachland oder im Grund einer engen Schlucht. Der Höhenunterschied zum Pass muss so oder so überwunden werden. Aber man hat die Wahl, ob man die Trasse möglichst lange durch Täler führt, oder schon Vorberge für den Anstieg nutzt und dann über die Höhen trassiert. Die sächsischen Ingenieure haben sichtlich auf einer Karte die schroffen Talsysteme als Tabuzonen gekennzeichnet. Übrig blieben wie Inseln die sanft gewellten Bergrücken. Diese wurden nun geschickt durch Viadukte verbunden. Fertig war die billigste Trasse.
Wir sind heute gewohnt, dass für Bahnen bevorzugt bequeme Talsysteme
durch Basistunnel verbunden werden. Damals ging man unvoreingenommen ans Werk und kam
zu dem inversen Ergebnis. In Sachsen wurden danach noch zwei weitere Strecken nach
diesem Prinzip gebaut, und zwar von Chemnitz ausgehend nach Nordwesten (Richtung
Leipzig) und nach Nordosten (Richtung Riesa). Dort sind die Höhenzüge nicht
so tafelbergartig, aber für den Fernverkehr schienen sie trotzdem geeigneter als
die engen windungsreichen Täler. Entlang des Flusses Chemnitz hat man parallel
dazu noch eine Nahverkehrsbahn gebaut, die inzwischen schon wieder verschwunden ist.
Auch im Tal der Zwickauer Mulde liegen Schienen, die langsam zuwachsen, stolz
überspannt vom Viadukt der älteren Strecke.
Photo Sangmeister, 2006, Verwendung nur mit meiner schriftlichen Genehmigung:
Göhrener Viadukt über die Zwickauer Mulde bei Cossen nördlich
Burgstädt
gerade überquert vom CLEX, dem Chemnitz- Leipzig- Express.
Bei Gebirgsbahnen mussten neben Einschnitten, Dämmen, Mauern, Brücken und Tunnel auch offene Galerien gegen Steinschlag und Lawinen angewendet werden. Im wesentlichen herrscht die angpasste Trassierung vor. Nur wo dies unter verstärkter Anwendung von Kunstbauten nicht ausreicht, den Höhenunterschied zu überwinden, findet man als reine Gebirgsbahn- Trassierungmethoden Kehrtunnel und Kreistunnel (Albulabahn!), selten auch mal ein Kehrviadukt (China, Tsin Peng Pass).
Auf die Trassierung von Zahnradbahnen und Schienen- Seilbahnen soll hier nicht eingegangen werden.