|
Zweihundert Kilometer pro Stunde nach FahrplanTeil 11: Tenderlok mit zwei Treibradsätzen Die gute Nachricht: Wir haben einen dicken Stapel Entwurfsskizzen und Berechnungen erhalten. Dem Lokomotivausschuss muss das Treiben des Arbeitskreises schon länger ein Dorn im Auge gewesen sein. Natürlich hat man unsere Veröffentlichungen gekannt, aber anfangs wohl nicht ernst genommen, vielleicht sogar verspottet. Jetzt, seit die Arbeit beginnt, konkretere Ergebnisse zu bringen, war man wohl gezwungen, sich etwas intensiver damit zu beschäftigen. Mit einem fast vorhersehbaren Ergebnis: Totale, fast instinktive Ablehnung. Gut, damit hatte der Arbeitskreis rechnen müssen. Die Vorgehensweise des Lokomotivausschusses muss jedoch massiver gewesen sein, als man es sich hatte vorstellen können. Das Gerücht, man habe sich Rückendeckung beim Reichsbahndirektor Friedrich Fuchs eingeholt, konnte uns noch nicht bestätigt werden. Es sollen aber gleichlautende Briefe an die Direktionen aller deutscher Lokomotivhersteller gegangen sein, mit etwa folgendem Inhalt. "Was Mitarbeiter Ihrer Firma in ihrer Freizeit tun, geht niemanden etwas an. Es sei denn, es ist gegen die Interessen der Firma als Arbeitgeber oder gegen Interessen Deutschlands. Wenn sich Mitarbeiter Ihres Hauses Gedanken über Verbesserungen im deutschen Bahnverkehr machen, ist das nicht gegen allgemeine Interessen Deutschlandes, kann aber durchaus gegen Interessen Ihrer Firma sein. Die Zusammenarbeit zwischen den Herstellern und dem Lokomotivausschuss hat sich sehr bewährt. Sie wird nun untergraben, indem Konzepte erarbeitet werden, die keinem Hersteller als Urheber zugeordnet werden können. Wie soll das weitergehen?" Die Lokomotive ist zu schwer und zu komplex für einen Einsatz in Deutschland. Also lasst den Unsinn! Ihr seid auf dem Holzweg! - So etwas muss in den Briefen gestanden haben, die von den Firmenleitungen an die Konstruktionsabteilungen weitergeleitet wurden, weil ja niemand die anonymen Mitglieder des Arbeitskreises kannte. Wenn der Chef selber Mitglied war, wird er sich gehütet haben, den Brief verschwinden zu lassen. Die Aufregung bei der nächsten Sitzung des Arbeitskreises können wir uns lebhaft vorstellen. |
  |
Beim Nachsinnen über den Inhalt dieses einleitenden Berichtes wird wohl auch dem unaufmerksamsten Leser klar geworden sein, dass es sich nur um reine Fiction handeln kann. Den ein solcher Vorgang hätte sich ja nicht verheimlichen lassen, sondern wäre in das Repertoir echter Eisenbahn- Geschichtsbücher aufgenommen worden. Irgendwie, in dieser oder ähnlicher autoritärer Art, hätten offizielle Stellen aber reagiert. Und weil davon nichts bekannt ist, dürfte es auch den Arbeitskreis 200km/h nicht gegeben haben, jedenfalls nicht in der hier beschriebenen Größe und Effizienz. Leser, die nur an den technischen Konzept- Diskussionen interessiert sind, möchte ich um Nachsicht bitten, dass ich diese Seiten mit dem Kolorit damaliger Zeitschriften garniert habe. |
Schnelle Reaktion: Eine vereinfachte und abgemagerte Version. Vielleich nicht so auffällig, aber ebenso wirksam: Der Luftwiderstand wurde durch
Verkleinerung des Querschnitts um mehr als 10% verringert. Hauptsächlich in der Höhe. Jetzt
erreichen nur die Schornsteine die niedrigere, überall geltende, Umgrenzungslinie (4250mm), während sonst
Schornsteine meistens einen Aufsatz bis zum höheren Grenzprofil haben. Die Haube über dem
Dom geht bis auf etwa 4m über Schienenoberkante. Kesselverkleidung, Heizer- und Führerhaus
sind so niedrig, wie man einen leichten D-Zugwagen bauen kann. Also deutlich niedriger, als die
üblichen, schweren Stahlwagen. Auch die Breite wurde etwas reduziert, vor allem vor dem Kessel bis zum Frontführerstand. Dieser ist nur etwa 2m breit. Der Lokomotivführer hat aber trotzdem Sicht auch nach schräg hinten, um in Kurven zum Zugende schauen zu können. Vorne ist die größte Breite bei der Zylinderverkleidung. Die Gehäuse der Kolbenschieber stehen nicht vor, wie bei den Einheitsloks. Ihre Mittelachsen liegen etwa in den Ebenen der Kuppelstangen. Die Schwingen und alle Stangen der Steuerung können wegen der großen Räder oberhalb der Kuppelstangen hinter der Stromschalen- Schürze untergebracht werden. Treib- und Kuppelstangenlager sind jedoch nicht abgedeckt, sondern werden vom Fahrtwind gekühlt. Die Stromschale der vorderen Lok- Hälfte bildet am hinteren Ende eine Hülse mit einigen Zentimetern Luft um die Rauchkammer herum, wobei oben ein Ausschnitt für die zwei Kylchap- Schornsteine bleibt. Die beidseitigen Rauchkammer- Türen sind durch Schiebetüren in der Stromschale kaschiert. Zwischen den Treibachsen, über der Blindwelle, sieht man eine weitere Schiebetür mit Fenster, die es nur rechts gibt. Hier gelangt man in einen Gang zwischen den Rädern, in dem sich einige Hilfsmaschinen servicegünstig plazieren lassen. Durch Bodenklappen ist das Innentriebwerk von oben zugänglich. Und schließlich kommt man von hier auch in das Führerhaus. Näheres zum Innenleben im nächsten Teil! _______________________________ |
|
Warum der letzte Entwurf vorerst nicht weiter verfolgt wird: Nehmen wir als Beispiel die letzte große Änderung, Ersatz einer Treibachse durch einen Hilfsantrieb: Dieser bringt das Zusatzgewicht von etwa 14t für zwei Zylindern, Treibstangen, Kupplungen usw. Verwendet werden dazu Laufradsätze, deren Gewicht schon mitgerechnet war. Weil ein Treibradsatz durch einen Laufradsatz ersetzt wurde, spart das etwa 4t. Die verbleibenden 10t Mehrgewicht waren zunächst kein Problem, weil auf den Platz eines Treibradsatzes zwei Laufradsätze passen. Der zusätzliche Radsatz trägt dann die hinzugekommenen 10t und verleitet dazu, auch die restliche Tragfähigkeit sinnvoll zu nutzen. So ist aber das Gesamtgewicht noch einmal um eine Radsatzlast von 20t angestiegen. Weil sich durch den Wegfall eines großen Treibradsatzes Vorteile im gesamten Aufbau ergaben, hatte man den Gewichtsanstieg als notwendiges Übel in Kauf genommen. Bedeutete es doch nur, dass das Gewicht des angehängten Zuges um ebensoviel zu reduzieren wäre, um wieder dieselbe Beschleunigung zu erhalten. Bei der Höchstgeschindigkeit zählt sowieso in erster Linie der Luftwiderstand, und dann erst das Gesamtgewicht. Das zulässige Metergewicht allerdings ist eine Grenze, die man wegen der Brücken keinesfalls überschreiten darf. Da waren nun die vielen, nahe beieinanderliegenden Laufachsen kritisch, wenn sie alle je 20t auf das Gleis bringen. Man musste bezüglich der Gewichte sogar einen erheblichen Sicherheitsabstand einplanen, wenn man die ungeschriebene Regel beherzigte, dass zum Schluss eine Lokomotive immer mindestens 5% schwerer wurde, als man berechnet hatte. Dass die Existenz des Arbeitskreises plötzlich in weiten Kreisen bekannt wurde, hatte nun letztendlich die Konzeptwende zu einer einfacheren, leichteren Lokomotive zur Folge. Also nicht der harschen Zurechtweisung, sondern der Veröffentlichung derselben an alle Konstruktions- und Entwicklungs- Ingenieure war es zu verdanken, dass das Ruder noch einmal herumgerissen wurde. Es hatte sich nämlich jemand gemeldet, der etwas Wichtiges beitragen konnte, obwohl er mit Dampflokomotiven wenig zu tun hatte, sondern die Gesetzmäßigkeiten der Traktion von Elektroloks erforschte. Gemeint ist Kother, der 1940 in "Elektrische Bahnen", Seite 219, "Verlauf und Auswirkung des Haftwertes zwischen Rad und Schiene bei elektrischen Triebfahrzeugen" veröffentlichte, oder jemand aus seinem Umfeld. Bei Dampflokomotiven war das Durchdrehen der Räder gelegentlich gehäuft aufgetreten, wenn man versucht hatte, mehr Zuggewicht in Bewegung zu setzen, und dazu nur die Zylinder vergrößert hatte. Die Zugkraft am Radumfang darf nur ein Bruchteil der Andruckkraft sein, also die Zugkraft des Lokomotiv- Antriebs nur ein Bruchteil der Summe der Radsatzlasten der Treibachsen, Reibungsgewicht genannt. Das war meistens nur beim Anfahren kritisch, weil da der Kolben mit dem vollen Kessel- Dampfdruck beaufschlagt werden kann. Es gab auch immer wieder einmal Lokomotiven, die so dimensioniert waren, dass sie auch in Fahrt auf trockenen Schienen die Räder zum Durchdrehen bringen konnten. Bei Strecken, auf denen nur niedrige Radsatzlasten zulässig waren, nahm man das gelegentlich in Kauf. In der Regel berücksichtigte man aber nasse Schienen, um bei schlechtem Wetter nicht dauernd sanden zu müssen. |
Bei höheren Geschwindigkeiten ist das "Schleudern", also das Durchdehen der Treibräder, praktisch unbekannt, weil dort die Kolbenkraft abnimmt. Noch stärker ist in der Regel die Abnahme infolge der beschränkten Kesselleistung. Gibt man zuviel Dampf, sinkt der Kesseldruck. Wenn bei neuesten Schnellzugloks doch einmal Schleudern eintritt, hat man dafür meistens eine plausibel klingende Erklärung gefunden. Diese wurden jetzt zweifelhaft. Bei Elektroloks herrschen ganz andere Bedingungen. In dem Maße, wie die elektrische Ausrüstung ein immer geringeres Gewicht pro Leistung aufwies, verschwanden die mittragenden Laufachsen. Künftige E- Loks werden nur noch Treibachsen in Drehgestellen haben. Ist dann bezüglich Zugkraft das Ende der Fahnenstange erreicht? Wird man, um das erforderliche Reibungsgewicht zu erzeugen, am Ende Ballast montieren? Es sieht danach aus, denn man hat nun feststellen müssen, dass die bisherigen Annahmen nicht stimmen. Bisher hat man das zulässige Verhältnis von Radumfangskraft zu Reibungsgewicht füd die Schleudergrenze als Konstante und nur vom Schienenzustand abhängig angesehen. Jetzt haben Messungen an E- Loks gezeigt, dass das zulässige Verhältnis mit wachsender Geschwindigkeit abnimmt. Bei hohen Geschwindigkeiten braucht man etwa doppeltes Reibungsgewicht. Dieser Einfluss kommt noch zu dem der Witterungseinflüsse hinzu. Weitere Arbeiten von Curtius und Kniffler nach dem zweiten Weltkrieg hatten die Abhängigkeit von der Geschwindigkeit bestätigt, waren allerdings zu nicht ganz so starker Abnahme gekommen. Die Tragweite dieser Erkenntnis war den Antriebsexperten im Arbeitskreis sofort klar, ohne dass sie lange nachrechnen mussten. Sie hatten ja die Zylinder für die zwei Treibachsen so dimensioniert, und den Kessel so leistungsfähig gemacht, dass bei 200km/h die Räder gerade noch nicht schleuderten. So hatten sie bis zu hohen Geschwindigkeiten die bestmögliche Beschleunigungsfähigkeit erzielen können. Wenn nun die Ausnutzung des Reibungsgewichtes halbiert würde, müsste die Lokomotive für gleiche Antriebskräfte vier Treibachsen haben. Völlig ausgeschlossen! Man war ja froh, von den drei Treibachsen abgekommen zu sein. Gegen das Hochgeschwindigkeitsschleudern konnte der Hilfsantrieb allerdings nicht eingesetzt werden. Er musste ja bei etwa 100km/h ausgekuppelt werden. Auch mit halber Kraft würde die Lokomotive 200km/h noch erreichen. Allerdings nur noch knapp, in der Ebene und bei Nässe dauernd schleudernd. Aber schlimmer: Mit gerade noch einem schweren oder zwei leichten Wagen angehängt. Eigentlich hatten alle Arbeitskreis- Mitglieder erheblichen Zweifel, ob die neuen Erkenntnisse überhaupt von E-Loks auf Dampflokomotiven ü:bertragbar wären, oder ob die Abnahme der Haftungsgrenze von der Radgröße und dem Kuppelgrad abhängen würde. Aber man wollte nichts riskieren. Eine Gewichtsreduktion war überfällig, und so war dies der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Man legte den schweren Entwurf beiseite und konzentrierte sich auf eine Abmagerungskur. Später würde man nochmal daran gehen und es für eine schwere Version wieder mit drei Treibachsen versuchen. Vielleich gab es ja doch eine Lösung. Das kurzfristige Ziel lautete nun aber: Eine deutlich leichtere Lok mit zwei Treibachsen für einen leichten Zug. |