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Zweihundert Kilometer pro Stunde nach FahrplanTeil 10: Tenderlok mit zwei Treibradsätzen "Warum nehmen Sie für die 200km/h Lok nicht einfach..." So begannen viele Leserbriefe, die wir zur Übergabe an den Arbeitskreis zugeschickt bekamen. Es war doch auffällig, dass diese teils besorgten, teils verständnislosen, teils sogar aggressiv formulierten Ratschläge sich gerade jetzt häuften. Man kann es sich vielleicht damit erklären, dass viele Leser sich bisher nur gewundert hatten, aber zum Verkünden ihrer Meinung noch keinen Anlass sahen. Sie mögen sich gedacht haben: "Die Spinner werden schon noch merken, dass sie auf dem Holzweg sind." oder auch "Was zahlt die Zeitschrift dafür, damit ihre Seiten zu füllen? Die haben wohl zu wenige handfeste Beiträge." Dazu können wir Sie beruhigen. Wir haben auf Monate voraus genug Artikel vorrätig, die auf die Veröffentlichung warten. Nein, wir sind von der Bedeutung der Vorarbeiten für einen künftigen Schnellverkehr überzeugt. Sicher haben Sie auch bemerkt, dass wir dem elektrischen Schnellverkehr ebensoviel Aufmerksamkeit schenken. Wir wollen hier nur auf technische Fragen eingehen. Vorher noch generell einige Worte zu den vielen Zuschriften, die sich darauf beschränkten, zu postulieren: "Es lohnt nicht mehr, kostbare Entwicklungsarbeit in die Dampflok zu investieren. Die Zukunft, insbesondere für Fernschnellzüge, gehört der E- Lok." Einige sind sogar davon überzeugt: "Schnelles Reisen muss ein Privileg der Elite bleiben. Dafür reichen einige kleine Triebwagen mit Verbrennungsmaschine." |
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Wir, die Redaktion, stehen zur entgegengesetzten Meinung. Jeder Reisende in ganz Deutschland, auch dort, wo eine Elektrisierung noch lange auf sich warten lassen wird, soll im Fernverkehr die minimalen Fahrzeiten geboten bekommen, die auf der jeweiligen Strecke, je nach Topographie, erzielbar sind. Immer, wenn irgendwo an Hauptstrecken abgenutzte Gleise zu erneuern sind, sollen ohnehin stärkere Schienen verlegt werden. Für höhere Geschwindigkeiten sind bei den älteren, großzügiger trassierten Strecken nur wenige Umbauten erforderlich. Meist nur in kleineren Bahnhöfen, wo die Fernschnellzüge durchfahren. Für eine Elektrisierung sind fast überall deutlich höhere Baukosten anzusetzen. Viele Brücken über die Strecke müssen erhöht werden, Kraftwerke gebaut werden. Im letzten Kapitel war es zum ersten mal nicht um allgemeine Vorüberlegungen, sondern um einen speziellen, nach Meinung des Arbeitskreises realisierbaren, Konzeptentwurf gegangen. Es wurde eine recht komplexe Tenderlok vorgestellt, um möglichst viele Pflichtenheftspunkte zu erfüllen und trotzdem noch Reserven für die Detail- Konstruktion zu behalten. Man wollte alle Grenzen ausnutzen: Achsstand für die 23m- Drehscheibe, also Gesamtlänge über 25m. Davon die hinteren zwei Drittel mit voller Ausfüllung des zulässigen Lichtraumprofils. Ein Kessel, der zu den schwersten, in Deutschland gebauten, gehören würde. Das alles auf dreizehn Radsätzen mit größeren Durchmessern, als bisher üblich. Da sind, verständlicherweise, viele Leser aufgeschreckt: "Meinen die das wirklich ernst?" Hier nun verkürzt und neu formuliert die wichtigsten Fragen und Anregungen, die wir (auch aus Platzgründen) leider nicht im Wortlaut bringen können. Sie waren ja auch nicht zur Veröffentlichung gedacht, sondern als Brief an den Arbeitskreis abgefasst. |
Warum manuelle Rostfeuerung und keine mechanische Beschickung? Warum solch ein steiler Bug und keine sanft ansteigende Stromlinienform? Warum sind die Treibräder so schwach belastet? Alle Radsätze wurden zunächst mit der maximal zugelassenen Radsatzlast von 20t angenommen. Nur das vordere Drehgestell soll leichter gebaut sein, um schneller reagieren zu können. Es soll nur 2 x 15t Last auf das Gleis bringen. Die mit 20t- belastenden Radsätze können unterschiedlich viel von den gefederten Massen der Lok tragen, weil zuerst ihr Eigengewicht abzuziehen ist, und dasjenige, der mit ihnen verbundenen, ungefederten Massen, wie Kuppelstangen, Achslager usw... So kommt es, dass der Bereich mit den großen und weit auseinanderstehenden Treibradsätze deutlich weniger tragen kann, als die übrige Länge mit den dicht stehenden Radsätzen. Wenn der Kessel seinen Schwerpunkt zwischen den Treibradsätzen hätte, müsste sein Gewicht zu großen Teilen nach vorne und hinten verteilt werden. Dazu müsste der Rahmen stärker dimensioniert werden, als wenn die tragenden Radsätze direkt unter der Last angeordnet sind. Warum nicht kleinere Treibräder, also höhere Drehzahl verwenden? Über ein Getriebe
könnte ein bewährtes Triebwerk mit mäßigen Drehzahlen arbeiten. Dazu wäre eine schnelllaufende Dampfmaschine nötig, die direkt auf den kleinen Treibradsatz wirkt. Wegen der maximal zulässigen Kolbengeschwindigkeit muss der Hub sinken: Doppelte Drehzahl, halber Kurbelradius. Leider kann dabei der Zylinderdurchmesser nicht beibehalten werden. Durchmesser gleich Länge ist so etwa die Grenze. Generell haben kleinere Zylinder einen schlechteren Wirkungsgrad wegen der relativ größeren schädlichen Flächen. Wenn man aber beim bewährten Kolbenhub bleiben will, braucht man in der Tat ein Getriebe. Dieses würde jedoch andere Proportionen haben als ein E- Lok- Getriebe. Erstens hat dort jeder Treibradsatz sein eigenes Getriebe, bestehend aus einem großen Zahnrad auf der Radsatzachse und einem Motorritzel. Der Durchmesser des Zahnrades ist meistens durch die Bodenfreiheit beschränkt. Je höher die Leistung, desto breiter muss es werden. Will man kleine, gekuppelte Radsätze über ein einziges Getriebe antreiben, ist man mit der Zahnradbreite schnell an einer Grenze. Dieses Prinzip taugt nur für mittlere Treibraddurchmesser, z.B. 1600mm mit einem Zahnraddurchmesser von 1000mm. Solche Getriebe sieht man bei den ersten Turbinenloks. Je niedriger die Maximaldrehzahl der Dampfmaschine, desto größer muss der Durchmesser des Primärzahnrads sein. Das Sekundärzahnrad muss unverändert bleiben, weil es ja für die Leistung dimensioniert wurde. Bewährte Zylinderdimensionierung würde zu einem Durchmesser des Zahnrades auf der Kurbelwelle von über 1600mm führen. Von einem solch schweren Getriebe wollten wir dann doch lieber die Finger lassen. Übrigens ist die maximale Kolbengeschwindigkeit nicht der einzige Grund für die Forderung nach mäßigen Drehzahlen. Es geht auch um Achslager, Treibstangenlager und die Gewichte der Stangen, die den Fliehkräften standhalten müssen.
Wie will man eine so schwere Lok aus 200km/h innerhalb des Vorsignalabstandes abbremsen? Man versucht, ähnlich wie beim Beschleunigen, die von der Radsatzlast und der Qualität des Rad- Schiene- Kontaktes abhängige, maximal zulässige Tangentialkraft voll auszunutzen. Also kurz vor dem Blockieren der Räder. Wenn fast alle Radsätze, wie bei unserer Lok, 20t Last aufweisen, könnte man alle gleich stark abbremsen. Dann wird in allen Radreifen dieselbe Wärmemenge erzeugt. Verteilt sich die Wärme in ein größeres Volumen, wird es dort weniger heiß Die riesigen Treibräder sind die einzigen, um die man sich diesbezüglich keine Sorgen machen muss. Bei den Laufradsätzen muss man genauer nachrechnen und gegebenenfalls die Bremskraft reduzieren. Warum Speichenräder und keine Räder mit Kastenquerschnitt? Wegen der Blindwelle braucht man auch keine Kropfachsen. So kann eine Hohlachse optimal dimensioniert werden. Immerhin wirken die Spurkranzkräfte ja mit einem größeren Hebelarm, dem Rollradius von 1400mm entsprechend. Dazu kommen für die Achslager neben der anteiligen Last des Lokaufbaus nur noch die Gegenkräfte der Kuppelstangen, nicht aber die beim Anfahren aus der Ruhe besonders kritischen Kräfte der Treibstangen. Für diese müssen nur die Lager der Blindwelle ausgelegt sein. |
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Warum der Umstand mit der Blindwelle? Geht doch auch direkt! Die Treibstange erzeugt auch unangenehme, schwieriger zu kompensierende Beschleunigungskräfte der hin- und hergehenden Massen. Auch für sie gibt es eine optimale Länge, wobei die Meinungen bezüglich des optimalen Verhältnisses von Treibstangenlänge zu Kurbelradius allerdings unterschiedlich sind. Die Blindachse zwischen den Treibradsätzen halbiert nicht nur die Länge der Kuppelstangen, sondern ergibt auch eine praktische Treibstangenlänge bei Plazierung der Zylinder direkt vor den Treibrädern. Einen weiteren Pluspunkt bietet die Blindachse beim Dreizylinder- Triebwerk: Dieses hat sonst den Nachteil, dass die Kuppelstangen im Winkel von 120 Grad am Kuppelradsatz angreifen. Eine saubere Kupplung verlangt aber einen Winkel von 90 Grad. Bei einer Blindachse ist es einfacher als bei einem Radsatz, eine weitere Kurbel für 90 Grad unterzubringen. Warum einen Hilfsantrieb vorsehen, der nur bis 60km/h wirkt? Da sind die Rollwiderstände von
Lok und Zug doch am geringsten. Zur Erleichterung für den Lokführer gibt es Pläne zu einer neuartigen Kombination von Nassdampf- plus Heißdampfregler. Dabei wäre der Heißdampfregler wie ein einstellbares Überdruckventil gebaut. In Zylindernähe positioniert, würde der Schieberkastendruck sehr feinfühlig konstant gehaltenen, und damit der maximale Kolbendruck, je nach Stellung des Bedienhebels. Bei Schleuderbeginn würde beim Zurücknehmen des Hebels das Überdruckventil sofort öffnen, wodurch die weitere Füllung sofort beendet wäre, ja sogar Dampf aus dem Zylinder noch zurückströmen könnte. Erst bei der Expansionsphase ist die Einflussnahme beendet. Im normalen Fahrbetrieb wäre, wie bei konventionellen Reglern, nur der Nassdampfregler wirksam. Denn sonst wäre auf die Dauer doch zuviel Dampfverlust durch die Heißdampf- Feinregelung zu beklagen. Aber zurück zum Hilfsantrieb. Viele Großstadtbahnhöfe haben gleich außerhalb des Gleisvorfeldes heftige Steigungen auf Überwerfungen hinauf, oder auf Brücken, wie in Frankfurt auf die Mainbrücke. Vorher ist es nicht möglich, Schwung zu nehmen, wegen der Geschwindigkeitsbeschränkung auf den vielen Weichen des Vorfeldes. Dahinter soll dann in der Steigung beschleunigt werden. Dort braucht man den Hilfsantrieb. Sehr nützlich ist er auch, um nach Halt vor einem Signal schnell wieder in Fahrt zu kommen. Was passiert mit dem Hilfsantrieb bei 200km/h? Der müsste doch auseinanderfliegen! Das Wort "Trennkupplung" möchten wir jedoch ebenfalls vermeiden, weil es suggeriert, man könne nach dem Anfahren nur trennen, aber beim Fahren nicht wieder einkuppeln. So wie bei den in den USA weit verbreiteten Boostern. Hier ist das Einkuppeln aber erforderlich, wenn das Haltsignal auf freie Fahrt geht, bevor der Zug zum Stehen gekommen ist. Der Arbeitskreis hat unzählige Realisierungsvorschläge zu Papier gebracht. Dazu könnte man ein Buch schreiben. Derzeit wird eine besonders leichte Konstruktion bevorzugt, die jedoch recht komplex ist und sicher noch viel Arbeit macht, sie robust zu bauen. Oberstes Ziel war dabei, dass sich der Radsatz im ausgekuppelten Zustand wie ein normaler Laufradsatz verhalten soll. Er soll also keine ungefederten Zusatzlasten der Kupplung mitschleppen. Kuppelstangen und Gegengewichte bleiben auf der abgetrennten Außenseite mit der stillstehenden Hilfs- Dampfmaschine verbunden. Freilaufende Radsätze können sich gegeneinander verstellen. Zahnkupplungen würden ihre Gegenzähne beim Einkuppeln nicht wiederfinden. Innen verhindert das Gleis, auf dem die Radsätze rollen, außen verhindern die Kuppelstangen ein gegenseitiges Verstellen. Dieses muss also aktiv, z.B. durch kleine Elektromotoren über Schneckenantrieb, erfolgen, bis alle Zahnkupplungen eingerastet sind. Sehr viel einfacher, aber auch schwerer sind Reibkupplungen, wie beim Kraftfahrzeug, die in jeder beliebigen Stellung einkuppeln können. Ordnet man jedem Treibradsatz auf jeder Lokseite eine Reibkupplung zu, hätte jede bis zu 150PS zu übertragen. Nun stellen Sie sich bitte keine 150PS- Kupplung eines Lastkraftwagens vor! Die laufen bei wesentlich höheren Drehzahlen. Hier müssen fünf bis zehnfach höhere Kräfte beherrscht werden. Die Frage, ob sich der Aufwand für den Hilfsantrieb wirklich lohnt, wird wohl noch eine Weile unbeantwortet bleiben. Es ist vielleicht an der Zeit, sich das Pflichtenheft nochmal vorzunehmen. Wenn man auf die Forderung verzichtet, dass die Lok bei gesperrter Hochgeschwindigkeitsstrecke ihren Zug langsam auch über Umleitungsstrecken mit größeren Steigungen ziehen können muss, wird Manches einfacher. |