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S21, Rund um den Stresstest ab Juli 2011Einleitung, Quellen und Problematik Kapitel 7, Zusammenfassung, Ergänzungen und KonsequenzenZunächst soll hier das Wichtigste der vorigen Kapitel zusammengefasst werden, und grob angedeutet werden, welche Auswirkungen die jeweiligen, durch den Stresstest gelieferten Erkenntnisse erwarten lassen. Wenn wir mit dem Fahrplan beginnen, sei noch einmal darauf hingewiesen, dass er als realistisches Beispiel angesehen wird, aber auch nicht als mehr. Deshalb habe ich mich zurückgehalten, Details zu kritisieren, bei denen ich die Hoffnung habe, dass sie sich in einem ersten echten Fahrplan noch verbessern lassen. Liniennetz, Grundtaktfahrplan und altbewährte Zusatzzüge für die Spitzenstunde waren also kein Thema. Im linken Kasten habe ich aus der Raumordnerischen Beurteilung von 1997 und dem Planfeststellungsbeschluss von 2005 die Stellen zusammengesucht, die dazu geeignet sind, das Stresstest- Ergebnis einzustufen. Denn am Ende muss die Frage gestellt werden: Darf Stuttgart21 nach diesem Ergebnis überhaupt gebaut werden, oder reicht der nachgewiesene Verkehrszuwachs nicht als Rechtfertigung für die unvermeidbaren Schäden, Risiken und Kosten. |
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Raumordnerische BeurteilungDie folgenden Zitate finden Sie in www.bahnprojekt- stuttgart-ulm.de/Stuttgart21-Diskurs-Textsammlung (2007). Die Seitenzahlen sind nicht die der .PDF sondern die auf den Seiten lesbaren. Vor dem Raumordnungsverfahren gab es im Bundesverkehrswegeplan verschiedene Stufen der Konkretisierung zu Stuttgart- München, im Jahr 1985 und dann zuletzt 1992, auf die hier nicht eingegangen werden soll. Interessant ist vielmehr: Auf was bezieht man sich bei der Raumordnerischen Beurteilung? Das ist (auf Seite 24 und ab Seite 28) die Konzeption "Netz 21" der BB AG von 1995. Da ist neben kapazitiven Ausbaumaßnahmen durchaus auch die Einsparung von Infrastruktur im Bestandnetz zitiert. Auf Seite 25 ist der "Europäische Infrastrukturleitplan" angeführt, mit Betonung der Magistralen. 1996 wurde das ergänzt durch das EG- Leitschema für den Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes, wo auch Stuttgart- Ulm vorkommt. Nichts im Text dieser Seiten deutet darauf hin, dass in diesen Unterlagen irgendeine Vorgabe über den Trassenverlauf vordefiniert gewesen sein könnte. Vielmehr sind ausdrücklich die Vorschläge von Professor Heimerl genannt. Kapitel C, Raumordnerische Beurteilung, 1.0 Vorhabensrechtfertigung (1997) Verdreifachung im Personenverkehr zwischen 1960 (=100%) und 1997 (=300%), also in 37 Jahren eine Zunahme um 200%. Wenn man eine gleichmäße absolute Zunahme weiter vorausgesetzt, denn "Eine Abflachung dieser Entwicklung ist nicht in Sicht.", dann kommt man bis zu einer Inbetriebnahme im Jahr 2027 auf 200% x67Jahre/47Jahre = 462%. Ich kenne nicht die Zugzahl von 1960, aber die von 1996/7 habe ich in einem alten Kursbuch. Dort zähle ich 30 ankommende Züge zwischen 0700 und 0800 Uhr. Bei linearem Anstieg käme man also auf 46 Züge 2027.
Auf Seite 54 steht die Voraussetzung für die Erhöhung der Streckenleistungsfähigkeit Stuttgart- Ulm bis zum Jahr 2010. "Nach der Prognose des Generalverkehrsplans Baden-Württemberg werden bis zum Jahr 2010 gegenüber 1990 der Nahverkehr um insgesamt 34 %, der Personenfernverkehr um 21 % und der Güterverkehr um 50% zunehmen." Wenn man das statt bis 2010 bis 2027 hochrechnet, kommt man auf 34% x37Jahre /20Jahre = 63% Nahverkehrszüge mehr als 1990. Weil hier die S− Bahnen mit dabei sind, ist es schwierig zu vergleichen. Gleichmäßiger Anstieg aller Nahverkehrsarten vorausgesetzt, würde man von 28 Zügen in 1990 auf 46 Züge in der Spitzenstunde kommen, also wie bei der zuvor genannten Prognose. Diese beiden Prognosen berücksichtigen die normale Steigerung infolge Bevölkerungs- und Mobilitätswachstum usw.. Darüberhinaus ist aber noch die Verlagerung von Verkehr von der Straße auf die Schiene gewünscht. Dazu heißt es zur Rechtfertigung in 1.2.2 (Seite 56): "Der Generalverkehrsplan sieht eine Erhöhung des Anteils des öffentlichen Verkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen und eine Verlagerung des erwarteten Verkehrszuwachses auf den öffentlichen Verkehr vor. Dies setzt eine Ausweitung der Schienenverkehrsangebote voraus." Was damit gemeint ist, steht konkreter im Kapitel Verkehrskonzeptionen, 2.2.3 Bedarf, auf Seite 65: "Im Schienenpersonennahverkehr wird die Verkehrsleistung bis zum Jahr 2010 um annähernd 60 % zunehmen, d.h. rund sechs mal so stark wie der Nahverkehr insgesamt." Dieser Abschnitt gehört allerdings nicht mehr zum Kapitel Rechtfertigung. Es hat sich ja inzwischen gezeigt, dass sowas im Autoland Baden- Württemberg nicht so schnell geht. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die neue Landesregierung sollte es mal wieder anpacken! Das Kapitel 2.3.1.Zugzahlen, Zugarten, Betriebsprogramm Stuttgart21 nennt dann die Prognose der Bahn: "Im Prognosejahr 2010 werden nach Angaben des Vorhabensträgers etwa 50% mehr Züge im Fernverkehr und etwa 80% mehr Züge im Regional- und Nahverkehr gegenüber dem Fahrplan 1996/97 eingesetzt....Im Regional- und Nahverkehr beginnen bzw. enden nach dem Fahrplan 1996/97 302 Züge täglich im Stuttgarter Kopfbahnhof. Künftig werden täglich 265 Stadtexpress-Züge über den Hauptbahnhof fahren. Da es sich um durchgebundene Linien handelt, muss die Anzahl der Züge verdoppelt werden, ehe sie mit der Zahl der im Kopfbahnhof beginnenden bzw. endenden Züge verglichen werden kann." Also 75% mehr (530/302 = 1,75)! Wenn das nicht nur in der Tagessumme, sondern auch in der Spitzenstunde gelten soll, hätte ein Stresstest für 2010 mit 51 Zügen (8 x1,5 + 22 x1,75 =12 +39 =51 Züge) gerechnet werden müssen. Wieder wie oben gleichmäßig bis 2027 extrapoliert (70% x30 Jahre /13 Jahre =169%) würde das 81 Züge in der Spitzenstunde bedeuten. Das nur am Rande zum Schmunzeln. Dieses weit über die ursprünglichen Prognosen hinausgehende Betriebsprogramm 2010 kommt den Wünschen der Raumordnung sehr gelegen. Darüberhinaus wünscht man weitere Optionen. Im Kapitel Raumverträglichkeit, Innenstadtbereich (Seite 188) :"Dies bedeutet für den Aus- und Neubau von Infrastruktur konkret, dass bei der Verwirklichung des Projektes Optionen offen gehalten werden, womit die Leistungsfähigkeit auf die wachsenden Verkehrsbedürfnisse angepaßt werden kann. In der Raumordnerischen Gesamtabwägung, 6.1.1.Verkehr (Seite 405): "...ist der neue Hauptbahnhof so zu dimensionieren, dass über das der Planung zugrunde gelegte Betriebsprogramm hinaus Verbesserungen der Verkehrsangebote möglich sind. Die verkehrlichen Untersuchungen haben ergeben, dass die Kapazität des neuen achtgleisigen Durchgangsbahnhofes eine Steigerung der Zugzahlen um etwa 30 % gegenüber dem für das Jahr 2010 angenommenen Betriebsprogramm erlaubt. Für das Planfeststellungsverfahren ist nachzuweisen, dass der neue Durchgangsbahnhof auch dann eine befriedigende Betriebsqualität gewährleistet, wenn durch Anbindung der vorhandenen, nach der Antragsplanung nicht mehr benötigten Zulaufgleise in und aus Richtung Feuerbach an die Cannstatter Zulaufgleise in und aus Richtung Hauptbahnhof weitere Züge aus Richtung Norden in den Hauptbahnhof eingeführt werden können...." (hier ist die P-Option und viergleisiger Ausbau bis zur SFS nach Mannheim gefordert) "Sofern der Vorhabensträger nicht den Nachweis erbringt, dass der achtgleisige Durchgangsbahnhof in seiner Kapazität der - um die zusätzliche Fahrmöglichkeit nach Feuerbach erweiterten - Kapazität der Zulaufgleise entspricht, ist die Option zur Erweiterung des Durchgangsbahnhofes auf 10 Bahnsteiggleise offenzuhalten" Hier wird also das gefordert, was einem aktuellen Stresstest hätte zugrundegelegt werden müssen. Denn die Rechnungen für 2010 sind nicht mehr aktuell. Hier sind 30% mehr angegeben, allerdings etwas fragwürdig formuliert. Was war das für eine Kapazitätsuntersuchung, und wer hat sie gemacht? 51 x 1,3 =66 Züge in der Spitzenstunde, ja das wäre zukunftssicher. Aber das hat jetzt beim Stresstest wohlweißlich niemand aus den Tiefen des Raumordnungsverfahrens von 1997 hochgezerrt. Ich habe es auch mehr zur Erheiterung des Lesers hier zitiert. Zusammenfassung Planfeststellungsbeschluss vom 28.01.2005Auch hier gibt es (ab Seite 139) ein Kapitel Planrechtfertigung: "Im Ergebnis ist festzustellen, dass das beantragte Bahnprojekt
Stuttgart 21 zur Umgestaltung des Bahnknotens Stuttgart insgesamt planerisch ausreichend gerechtfertigt ist. Davon unabhängig
ist die Neubaustrecke sowie die Umgestaltung des gesamten Bahnknotens Stuttgart aber auch aus den mit der Planung verfolgten
inhaltlichen Zielsetzungen gerechtfertigt." Bei der zugrundegelegten Verkehrsprognose hat sich gegenüber dem Raumordnungsverfahren geändert, dass nach Paragraph 14
AEG nicht mehr allein die Angebotsplanung der DB AG zugrundegelegt werden kann, sondern ein komplizierteres Verfahren angewendet werden
muss (ab Seite 147 beschrieben). Im Planfeststellungsbeschluss findet man dazu keine Zugzahlen, sondern nur: Das Zenario 2015 musste dann nochmal angepasst werden: "Im aktuellen Betriebsszenario BVWP 2003 werden für die einzelnen
Strecken in der Regel weniger Züge angenommen als im bisherigen Betriebsszenario 2015. So werden z.B. im Korridor Stuttgart-
Ulm anstelle der früher angenommenen 168 Fernverkehrszüge künftig 154 solcher Züge verkehren. Gegenüber früher
mit 124 Nahverkehrszügen und 212 Güterzügen in diesem Korridor werden jetzt 86 bzw. 170 Züge dieser Art prognostiziert.
Während der Stuttgarter Hauptbahnhof im Betriebsszenario 2015 täglich insgesamt (ohne Abstellfahrten) 984 An- und Abfahrten
bewältigen müsste, so sind es im Betriebsszenario BVWP 2003 noch 856 An- und Abfahrten." Auf Seite 154 dazu weitere Zahlen: "Nach dem der Planung nunmehr zugrundeliegendem Betriebsszenario BVWP 2003 sollen künftig
im Bahnknoten Stuttgart 1060 Züge (204 Fahrten davon gehen zum bzw. kommen vom Abstellbahnhof) abgefertigt werden, derzeit (im Jahr 2005 ?)
sind es 598 ohne die Fahrten vom/zum Abstellbahnhof... Auf dem Streckenkorridor zwischen Stuttgart Hauptbahnhof und Plochingen bzw. Wendlingen
werden nach dem Betriebsszenario BVWP 2003 636 Züge (einschl. S-Bahn) verkehren; derzeit sind es 457 Züge. Der Leistungskennwert
dieser bestehenden Strecke (einschließlich S-Bahngleise) betrügt 565 Züge." Im Rahmen der Rechtlichen Würdigung, 1.4.1.2 Aktualität der Verkehrsprognose, ist man dann aber beim
Szenario 2015 geblieben (Seite 150): "Nach Auffassung der
Planfeststellungsbehörde konnte bereits das ursprünglich den Planungen der Vorhabenträgerin zugrundegelegte Betriebsszenario 2015
als Einschätzung für den zukünftig erwarteten Bedarf akzeptiert werden." Somit steht im Planfeststellungsbeschluss, durch welche Zugzahl in der Spitzenstunde der Bau von S21 gerechtfertigt wird: Nämlich die Zugzahl des Szenarios 2015, für das ich noch keine Quelle im Internet kenne. Deshalb kann ich nur vom angeblich weitgehend gleichen Betriebsprogramm 2010 ausgehen. Das wären, wie oben im Absatz Raumordnung vorgerechnet, 51 Z¨ge in der Spitzenstunde. Es wäre jetzt nur noch zu diskutieren, wieviele Züge man daraus für einen Stresstest 2027 ableiten müsste, ausgehend von dem Wissen, dass im Jahr 2010 eben doch weit weniger Züge gefahren sind, als prognostiziert. Die einen Befürworter von Stuttgart21 behaupten: "Hätten wir S21 zügig gebaut und heute in Betrieb, hätte sich auch der Verkehr kräftig entwickelt." Andere Befürworter sagen: "Wir brauchen keinen strengen Stresstest, denn man sieht ja, dass der Verkehr nicht so stark zunimmt. Acht Gleise werden ewig ausreichen." Zum Glück brauchen wir darüber nicht zu streiten, denn der Stresstest wurde ja nicht einmal mit 51 Zügen, sondern mit Hängen und Würgen nur mit 49 Zügen durchgeführt. Also muss ich bei meiner Ansicht bleiben: Die Nachteile, Risiken und Kosten sind nicht gerechtfertigt, weil das für einen Bahnhof ausschlaggebende Rechtfertigungsargument, die Zunahme der verkehrlichen Leistungsfähigkeit, nicht nachgewiesen werden konnte.
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ZusammenfassungenIn Kapitel 1 wurde die Belastung der Zufahrts- und Abfahrtstunnel ermittelt, wobei erwartungsgemäß der Feuerbacher Tunnel mit 17 Zügen am stärksten belastet war. Dass aber in der Spitzenstunde durch die Ausfahrt nach Untertürkheim elf Züge zum Abstellbahnhof und nach Obertürkheim sechs Züge fahren müssen, zusammen also auch 17 Züge, hat doch überrascht. So gibt es einige Zugfolgen mit zwei Minuten Abstand oder weniger, die sich schon bei kleinen Verspätungen negativ bemerkbar machen können. Zur Entlastung des Feuerbacher Tunnels war schon in der Raumordnung eine zusätzliche Verbindung vom Tunnel nach Bad Cannstatt zur Bestandsstrecke beim Pragtunnel gefordert worden, die sogenannte P- Option. Dazu ein viergleisiger Ausbau zwischen Feuerbach und dem Anfang der Schnellfahrstrecke nach Mannheim. Eine ähnlich wirksame Entlastung für den Tunnel nach Unter- und Obertürkheim, der sich erst unter dem Neckar verzweigt, wurde nie für erforderlich gehalten. Nun zeigt sich, dass die alleinige Ertüchtigung durch die P-Option nicht viel bringt, solange nicht auch die Zufahrten zum Abstellbahnhof in Untertürkheim verbessert werden. Dabei ist auch bei dessen westlicher Zufahrt keine Reserve, weil der Cannstatter Tunnel durch die über die P- Option fahrenden Züge an seine Grenzen kommen wird. In der Spitzenstunde wird dann die Kapazität des Tunnels nach Unter- und Obertürkheim die ausschlaggebende Leistungsgrenze darstellen. Weil ich da keine zu vertretbaren Baukosten realisierbare Option sehe, dürfte der 49- Züge- Stresstest also auch mit P− Option nicht wesentlich überboten werden können. In Kapitel 2 ging es um die Zusatzzüge, von denen vier dadurch negativ auffallen, dass sie in geringem Abstand vor oder nach einem auf gleicher Strecke fahrenden Linienzug fahren. Es war aber verlangt worden, dass der Stundentakt möglichst gleichmäßig halbiert wird. Ich kann nicht beurteilen, ob sich das erreichen lässt, indem man z.B. auf den Strecken oder in Nachbarknoten investiert. Deshalb zögere ich noch, deswegen den Stresstest generell abzuwerten. Streng genommen dürfte man sie nicht zählen, denn man könnte jedes hintereinander herfahrende Paar kurzer Züge durch einen langen Zug ersetzen. Statt 49 also nur 45 Züge. Das zweite Problem halte ich für ernster, nämlich dass einige Zusatzzüge in ihrer Wagenzahl beschränkt sind, weil sie sich in Doppelbelegung mit einem anderen Zug das Bahnsteiggleis teilen müssen. Bei Linienzügen können kurze Züge sinnvoll sein, um sie tagsüber bei wenig Nachfrage nicht leer oder zu selten fahren zu lassen. Das ist ja mit dafür verantwortlich, dass so viele Zusatzzüge fahren müssen. Umso wichtiger ist es aber, bei den Zusatzzügen eine Beschränkung von künftigen Leistungssteigerungen zu vermeiden. Ich habe sechs Zusatzzüge gefunden, die ich aus diesem Grund nur halb zählen möchte. Der Stresstest wäre nach dieser Einschätzung leistungsmäßig also nur einer für 46 Züge. Weil diese beiden Betrachtungsweisen nicht völlig unabhängig voneinander sind, darf man nicht einfach von sieben fehlenden Zügen sprechen. Aber es ist wohl klar geworden, dass von 49 Zügen nur geredet werden kann, wenn man von einem beschränkten Fahrgastzahlen- Zuwachs ausgeht. Das liest sich in der Raumordnung anders, jedoch leider ohne Zahlen, weil damals Kurzzüge unüblich waren, oder weil schlicht vergessen wurde, die Zuglängen zu definieren. In Kapitel 3 habe ich die Fahrstraßenausschlüsse im Tiefbahnhof und ihre Auswirkungen untersucht. Das wäre im Rahmen des Gesamtthemas nicht unbedingt erforderlich gewesen, weil ein wesentlicher Teil des Stresstestes die vorgelegte Simulation von Verspätungs- Auf- und Abbau enthielt. Diese Computerprogramme und modernen, wissenschaftlichen Methoden sind vielen Eisenbahnfreunden fremd und erzeugen bei manchem vielleicht auch Unbehagen, weil das alles nicht anschaulich nachvollziehbar ist. Deshalb bin ich nach alter Methode vorgegangen und komme auch so zu dem Schluss, dass der Tiefbahnhof besser funktioniert als befürchtet. Das liegt aber an der passenden Durchbindung der Linien, woraus wieder der Nachteil fehlender Flexibilität abzuleiten ist. Eine Anpassung an veränderte Verkehrsströme wird behindert. Die Durchbindungen werden so bleiben müssen, wie es die Fahrstraßen vorgeben, außer der Verkehr bleibt weit unter der prognostizierten Zugzahl zurück. In Kapitel 4 ging es um Notbetrieb, der im Stresstest zu meiner Überraschung ausgeklammert wurde. Dafür wurden inzwischen einige Notprogramme mit Umleitungen über Bestandsstrecken veröffentlicht, die von Totalsperrungen der jeweils untersuchten Tunnelstrecke ausgehen. Weil ich das Thema aus völlig anderem Blickwinkel angegangen bin und die Auswirkungen von Störungen oder Bauarbeiten in jeweils nur einem der beiden eingleisigen Tunnel untersucht habe, soll es hier nicht weiter in meine Abschlussbewertung einfließen. In Kapitel 5 ging es ebenfalls nur indirekt um den Stresstest. Ich habe die Umsteigebeziehungen tagsüber untersucht, und zwar speziell zwischen den Linienzügen untereinander. Deren Zeiten hat man so gewählt, dass sie in der Spitzenstunde das Dazwischenschieben der Zusatzzüge erlauben. In der Spitzenstunde sind die Umsteigezeiten wegen der Zusatzzüge für die meisten Reisenden kürzer als beim Grundangebot tagsüber. Ein für den Stresstest optimierter Fahrplan kann nicht gleichzeitig auf kürzeste durchschnittliche Umsteigezeit optimiert sein. Man findet in der Tat relativ viele Umsteige- Wartezeiten zwischen 50 und 62 Minuten. Letztere Zeit ist besonders ärgerlich, wenn man den Zug am Nachbarbahnsteig stehen sieht, den Weg in zwei Minuten aber nicht schafft. Selbst bei Berücksichtigung vorteilhafterer Alternativzüge kam ich auf eine durchschnittliche Umstiegszeit von 28,2 Minuten, jeweils Abfahrtszeit minus Ankunftzeit gerechnet. Für durchgebundene Züge könnte man ebenso eine durchschnittliche Haltezeit ermitteln. Dieser Wert ist allerdings weniger interessant und wurde daher nicht berechnet, weil nur ein kleiner Teil der Fahrgäste in die Richtung der Durchbindung fahren will. Das liegt einfach an der großen Zahl der Strecken und an der zeitlichen Unflexibilität der Reisenden. In Kapitel 6 habe ich weitere Aspekte untersucht, die meiner Ansicht nach in einem Stresstest hätten simuliert werden müssen, nämlich die Verhältnisse auf den Bahnsteigen. Sie weisen ausgerechnet im mittleren Bereich die geringste nutzbare Breite auf, weil man möglichst viele Treppen und Fahrtreppen unterbringen wollte. Das macht auch Sinn, weil die Bahnsteige für einen modernen Fernverkehrsknoten sehr schmal sind, andererseits auf den Stegen relativ viel Platz ist. Durch die ursprünglich nicht vorgesehene Doppelbelegung gibt es aber zusätzliche Ströme von Reisenden zwischen den Bahnsteighälften. Auch viele Umsteiger von/ zur S− Bahn benutzen den Weg über den Bahnsteig und durch die Unterführung. Den Fahrplan- Machern ist das Problem wohl nicht verborgen geblieben, denn man hat einige Züge auf bestimmte Bahnsteighälften geschickt, auch ohne Doppelbelegung. Anhand von Beispielen habe ich in Kapitel 6 bewiesen, dass es Komplikationen gibt, weil durch das Gedränge neben den mittleren Treppen das Aus- und Einsteigen behindert wird, und die vorgesehene Haltezeit nicht realistisch ist. Weil das bei den Verspätungsrechnungen des Stresstests nicht zusätzlich berücksichtigt ist, wird der Tiefbahnhof nicht, wie behauptet, verspätungsabbauend wirken, sondern bei einigen Zügen auch Ursache für tägliche Verspätungen sein. Der Stresstest zeigt: 49 Züge funktionieren nicht. Ob es mit den im Schlichtungsergebnis geforderten Gleisen 9 und 10 funktionieren könnte, wurde nicht geprüft. ErgänzungenWeshalb ist das Ergebnis des Stresstestes so wichtig? Sich jetzt schon um einen Fahrplan zu streiten, macht eigentlich wenig Sinn, so viele Jahre vor der Eröffnung, von der man nicht wissen kann, in welches Umfeld von Rahmenbedingungen konjunktureller bis kultureller Art sie fallen wird. Klarheit über den verkehrstechnischen Wert des Projektes braucht man aus anderem Grund: Im Verlaufe des Planungs- und Zulassungsverfahrens gab es viele Hindernisse, es mussten sogar Vorschriften und Regeln außer Kraft gesetzt werden, und viele Interessen Einzelner und verschieden einflussreicher Gruppierungen mussten zurückgebunden werden. Und zwar unter der allmächtigen, übergeordneten Direktive, all das müsse im öffentlichen Interesse in Kauf genommen werden, um die angestrebte Verkehrsverbesserung zu ermöglichen. Obwohl es mir wenig Spaß macht, musste ich mich ein wenig mit dem juristischen Aspekt der Problematik auseinandersetzen.
Da ich in diesem Bereich totaler Laie bin, informierte ich mich für den Anfang bei Wikipedia. Wie im linken Kasten gezeigt,
geht es bei der Raumordnerischen Beurteilung und im Planfeststellungsbeschluss nicht nur um die Details der Planung, sondern im
Wesentlichen um deren Rechtfertigung. Auf der Wikipedia- Seite
Rechtfertigungsgrund steht in der Einleitung die Definition: Welche Folgen hat es, wenn sich herausstellt, dass ein Rechtfertigungsgrund nicht die versprochene Wirkung hat? Von den
Befürwortern des Projektes hört man in letzter Zeit fast nur noch das Argument: Wir haben Baurecht, wir fangen nicht
neu an mit Rechtfertigungen, basta! Dazu findet man auf der Wikipedia- Seite
Unanfechtbarkeit : Das ist nun schon so ein Satz, der einem ein juristisches Studium angeraten sein lässt. Obwohl ich für ein mehrjähriges Studium zu alt bin, habe ich doch wenigstens noch ein wenig im Raumordnungsgesetz (Wortlaut auf der Wikipedia- Seite verlinkt) und im Verwaltungsverfahrensgesetz (auf dieser Seite Paragraphen einzeln verlinkt) quergelesen, um herauszufinden, ob es wirklich kein Zurück gibt. Raumordnungsgesetz Verwaltungsverfahrensgesetz Generell gilt zusätzlich das Zivilrecht. Entschädigungen können unabhängig von den Fristen auch nach Beginn der Unanfechtbarkeit geltend gemacht werden. Klagen sind aber wohl nur dann erfolgversprechend, wenn eine nicht voraussehbare Wirkung des Vorhabens auf das Recht eines Anderen vorliegt. Denn die voraussehbaren waren gerechtfertigt worden, und man hätte innerhalb der Frist dagegen klagen müssen. KonsequenzenErst in den letzten Jahren kam ein gewisser Gegenpol zum Tragen. Ich meine das öffentliche Interesse an den ausufernden Baukosten, verbunden mit der sinkenden Bereitschaft, sich für solche Projekte immer noch mehr zu verschulden. Auch stellte sich heraus, dass positive Nebeneffekte des Projekts, wie Stadterweiterung und Schaffung von Arbeitsplätzen immer mehr in den Mittelpunkt rückten. Ja sogar private Interessen wurden für sensitive Beobachter erkennbar. Die proklamierte Verdopplung der Leistungsfähigkeit des Bahnhofs wurde dagegen immer mehr angezweifelt. Die Grundlage des ganzen Zulassungsverfahrens, die Verkehrsverbesserung, ist nun durch das Stresstest- Ergebnis in Frage gestellt. Die Rechtfertigung hat damit einen wesentlichen Teil ihrer Kraft eingebüßt. Es bleiben nur die Vorteile der neuen Schnellfahrstrecke über den Flughafen. Diese könnten auch durch andere Lösungen erreicht werden, zumal ja die Fernzüge garnicht dort halten sollen. Bleibt schließlich nur die Stadtentwicklung. In einem Raumordnungsverfahren, bei dem es nicht um einen Bahnhof, sondern nur um die Entwicklung eines Stadtteils gehen würde, müsste aber ganz anders abgewogen werden. Angenommen, der Stadtentwicklung stünde ein ausgedehntes Denkmal im Wege. Die Entscheidung wäre klar zugunsten des Denkmalschutzes ausgegangen. Denn Denkmalschutz ist Landessache, während der neue Stadtteil nur der Gemeinde nützt. Im linken Kasten habe ich die wichtigsten Passagen zitiert, wo in der Raumordnung und im Planfeststellungsbeschluss zur Rechtfertigung der Denkmalzerstörung, anderer Schäden und Risiken der Verkehrszuwachs definiert wird. Darunter habe ich noch einen, zugegeben recht ratlosen, Abschnitt über sonstige juristische und politische Problemfragen angehängt. Politiker und Juristen werden darüber vielleicht mitleidig lächeln, aber meine Leser sind wohl eher, wie ich, technisch und praktisch orientiert. Und wir kommen auch nach längeren Ausflügen in die beklemmenden juristischen Denkweisen immer wieder zu dem zurück, was wir für einen gesunden Menschenverstand halten. Und der meint: Bei einem Bahnhof muss der Bahnverkehr die oberste Entscheidungsgrundlage bleiben. Viele glauben fest an eine, die Zukunft gestaltende, wesentliche Funktion der Bahnpolitik. Man kann natürlich auch die andere Seite verstehen: Dass es mit dem Wachstum nicht mehr so weitergehen wird, dafür gibt es immer mehr Indizien. Wenn dazu noch die Bevölkerung abnimmt, und infolge weiterer Verbreitung der Armut weniger gereist wird, wenn durch steigende Energiekosten bei sinkendem Gehalt längere Fahrten zur Arbeit immer unattraktiver werden, wenn dann noch der Rückkopplungseffekt durch verschlechtertes Zugangebot dazukommt, dann wäre es ein Wunder, wenn jemals solche Zugzahlen wie im Stresstest gefahren würden. Befürworter von S21, die das so negativ sehen, brauchten die positiven Prognosen also einzig zur Rechtfertigung der Kollateralschäden. Wer es so negativ sieht, hat natürlich auch das Bestreben, das Beste daraus zu machen, solange es noch geht. Aus diesem Blickwinkel sind auch die horrenden Kosten nicht abschreckend. So kommt Geld ins Land, und nach uns die Sintflut! So denkt nicht nur der Manager, sondern auch der Bauarbeiter. Aber darf die Politik das hinnehmen? Es ist sicher nicht einfach, da herauszukommen. Positiv denkende Politiker müssen mit zukunftweisenden Fachleuten zeigen, dass gerade ein optimiertes Nahverkehrsnetz die Chance bietet, die negativen Effekte auszugleichen, und die Region weiter voran zu bringen. Es müsste sofort ein neues Raumordnungsverfahren eingeleitet werden, das anders als das zu Stuttgart21 auch U− und S− Bahnlinien und insbesondere auch den Güterverkehr mit einbezieht. Bestehende Planfeststellungsbeschlüsse sind dabei wenige Argumente unter vielen anderen von gleichem Gewicht. Viele Teile der alten Raumordnung können bestehen bleiben, aber einige müssen ersetzt werden. Man muss sich jetzt entscheiden: Wollen wir ein positives Szenario, wie es der Rechtfertigung zugrundegelegt wurde, dann darf nicht so gebaut werden, wie es dem Stresstest zugrunde gelegt wurde. Sagen wir andererseits, der Stresstest ist realistisch, weil der Verkehr sowieso nicht so stark zunehmen wird, dann fehlt die Rechtfertigung für die Kollateralschäden. Dann haben wir nicht nur das negative Entwicklungszenario, sondern auch ein abgerissenes Denkmal, einen Sack voll Risiken und eine ewige Baustelle. Denn im negativen Entwicklungszenario ist auch enthalten, dass für solche Projekte kein Geld mehr da sein wird. |
Stand 12.09.11
Fortsetzung: Sammlung von leistungsfähigeren Kompromissvorschlägen
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